Politischer Liberalismus: Zum Ampel-Aus


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Die FDP hat bei den jüngsten Landtagswahlen eine Niederlage nach der anderen erlitten, bei der Wahl in Brandenburg Ende September beispielsweise erhielt sie nicht einmal halb so viele Stimmen wie die Tierschutzpartei. Nach jeder Niederlage wurde der Ton gegenüber den Koalitionspartnern auf Bundesebene schärfer. Am Ende stand pure Profilierung statt einem realitätsnahen, pragmatischen und konstruktiven Liberalismus. Jetzt hat Bundeskanzler Scholz die Reißleine gezogen und Christian Lindner aus dem Amt entlassen. Als Folge ist die FDP aus der Regierung ausgetreten.

Wer solche Freunde (Koalitionspartner) hat, braucht keine Feinde (keine politischen Gegner) mehr

Seit Beginn der Ampelkoalition gefiel sich Lindner in der Rolle des Oppositionsführers in der Regierung. Das leicht durchschaubare Ziel war es, sich von allen gemeinsam vereinbarten Zielen zu distanzieren, um die Regierungspartner zu diskreditieren.
Profilierung der FDP – um jeden Preis und ohne Rücksicht auf den Koalitionsvertrag.
Dazu stieß immer mehr Beobachtern die allzu offensichtliche Nähe zu finanzstarken Lobbygruppen wie der Mineralölindustrie auf.

Die Profilierung folgte immer mehr der eigenen Ideologie, auch und gerade dort, wo gesunder Pragmatismus für Lösungen im Rahmen der Bewältigung der zahlreichen Krisen (Transformationskrise der Wirtschaft, insbesondere der Automobilindustrie, Exportkrise durch geopolitische Verschiebungen, Sicherheitskrise durch den brutalen Überfall von Putins Russland auf die Ukraine und die massiven Desinformationskampagnen in Europa, Klimakrise/Dekarbonisierung) notwendig gewesen wäre.

So hat Lindner die FDP immer mehr marginalisiert, statt sie zu stärken. Die FDP als liberale Kraft wird gesellschaftlich und wirtschaftlich gebraucht. Aber nicht, wenn sie weiter den Weg Lindners geht und sich als verlängerter Arm mächtiger Lobbys oder als ideologiegetriebener Verfechter einer radikalen Marktliberalisierung versteht.

Vielleicht sollten sich die politisch taktierenden Akteure der FDP wieder einmal auf die Grundlagen des Liberalismus besinnen.

Liberalismus - Über die Freiheit - John Stuart Mill

Liberalismus – Über die Freiheit – John Stuart Mill

Das Basis-Werk des Liberalismus: “Über die Freiheit” von John Stuart Mill

Ich empfehle dazu noch einmal die Lektüre der Initialschrift des Liberalismus: “Über die Freiheit” von John Stuart Mill, die ich heute wieder aus meinem Bücherschrank geholt habe.

John Stuart Mills “Über die Freiheit” ist ein grundlegendes Werk der politischen Philosophie und ein Plädoyer für individuelle Freiheit und Selbstbestimmung. Mill argumentiert in dem Werk aus dem Jahr 1859, dass Gedanken- und Meinungsfreiheit sowie die Freiheit der Lebensführung wesentlich sind, solange sie anderen keinen Schaden zufügen.
Ein zentraler Punkt ist das so genannte „Schadensprinzip“, das besagt, dass staatliche oder gesellschaftliche Eingriffe dann gerechtfertigt sind, wenn das Verhalten eines Individuums (oder eines Wirtschaftsakteurs) anderen schadet.

Mill warnt auch vor der “Tyrannei der Mehrheit” und fordert Schutzmechanismen zur Wahrung von Minderheitenmeinungen und Individualität. Sein Werk legt damit den theoretischen Grundstein für moderne Konzepte von Menschenrechten und liberalen Gesellschaften.

Für den politischen Liberalismus ist das Werk aus mehreren Gründen von großer Bedeutung:

  • Individuelle Freiheit: Mill definiert die individuelle Freiheit als zentralen Wert, der die Grundlage einer gerechten Gesellschaft bildet. Seine Argumentation unterstützt die Idee, dass Individuen das Recht haben, ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen, was ein grundlegendes Prinzip des politischen Liberalismus ist.
  • Schadensprinzip: Das von Mill formulierte Schadensprinzip, das besagt, dass der Staat nur dann in das Leben der Bürger eingreifen sollte, wenn deren Handlungen anderen schaden, wurde zu einem zentralen Begriff im politischen Diskurs über die Grenzen staatlicher Macht und den Schutz individueller Rechte.
  • Meinungsfreiheit/Redefreiheit: Mill betont die Bedeutung der Redefreiheit und des offenen Dialogs. Er argumentiert, dass der Austausch von Ideen, einschließlich unpopulärer oder abweichender Meinungen, für das gesellschaftliche und individuelle Wohlergehen unerlässlich ist. Dies hat die Entwicklung liberaler Demokratien, in denen Meinungsfreiheit und Pluralismus geschätzt werden, stark beeinflusst.
  • Gegner der Tyrannei/Schutz von Minderheiten: Mill warnt vor der “Tyrannei der Mehrheit”, was bedeutet, dass die vorherrschende Meinung eine gefährliche Macht über die individuellen Freiheiten haben kann. Diese Erkenntnis fördert die Idee von Schutzmaßnahmen für Minderheiten und individuellen Rechten im politischen Liberalismus.
  • Feminismus und Chancengleichheit: Mils Ideen von individueller Freiheit und Selbstbestimmung trugen auch dazu bei, den Frauenbewegungen und sozialen Reformen des 19. und 20. Jahrhunderts eine theoretische Grundlage zu geben, indem sie die Notwendigkeit der Gleichheit und des Zugangs zu Rechten und Freiheiten für alle Menschen betonten.

Insgesamt hat “Über die Freiheit” den politischen Liberalismus entscheidend geprägt, indem es die Bedeutung von Individualität, Freiheit und Schutz vor übermäßiger staatlicher Kontrolle hervorhob. Diese Prinzipien sind auch heute noch zentral für das Verständnis und die Verteidigung liberaler Demokratien.

Das Selbstverständnis einer liberalen Partei als Handlanger mächtiger Interessengruppen hat mit diesen liberalen Gedanken nichts mehr zu tun. Es ist nichts anderes als eine bewusste Irreführung der Wählerinnen und Wähler.

Liberalismus wird gebraucht

Wenn die FDP überleben und einen aktiven Beitrag zur Stärkung der Demokratie leisten will, sollte sie sich von Christian Lindner und seinen Helfershelfern trennen und einen grundlegenden Neuanfang wagen. Vielleicht hilft die Erinnerung an das oben erwähnte “Gründungswerk” des Liberalismus dabei, den Kompass neu auszurichten. Dann kann die FDP künftig wieder eine ernstzunehmende Rolle in der deutschen Politik spielen. Denn der Liberalismus ist in unserer Welt wichtiger denn je.